Sonntag, 9. Mai 2010

SKS Extrem-Törn nach England…

…so zumindest stand es in der Werbeanzeige, die mich zu Buchung des Törns überzeugt hat. Und letzte Woche war es endlich soweit: Ich packe meine sieben Sachen und fahre rüber nach Holland, um die Leinen los zu werfen für ein stürmische Fahrt durch den Ärmelkanal. 8 Windstärken werden während meiner Anfahrt im Radio angesagt. Ich habe Schiss! Habe ich mir doch zu viel vorgenommen?
Ankunft. Unser Crew ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen unterschiedlicher Altersklassen, erstaunlicher Weise ist keiner von den Segel-Snobs dabei – alles pure Segelidealisten. Am Ende des Törns weiß ich, dass ich mit dieser Crew extrem Glück hatte!
Und dann der Skipper. Jörg heißt er und zählt nur die wichtigsten Dinge auf. Bei 100.000 Seemeilen hat er aufgehört zu zählen. Kap Hoorn hat er umrundet, die Welt mehrfach umsegelt, hat die großen Segelregatten dieser Welt mitgenommen und war bei jenem verhängnisvollen Rennen vor Australien dabei, als viele Yachten gekentert und viele Segler gestorben sind. Auch sein Boot warf es um und er überlebte in einer Luftblase im Schiff. Jörg ist ein echter Seebär und ich denke, ich kann einiges von ihm lernen.
Der Törn startet a
llerdings ganz anders als erwartet. Nach etwa 3 Seemeilen stellen wir einen Defekt in der Dieselleitung fest und müssen umkehren. Das Problem ist zwar schnell behoben, allerdings ist das notwendige ablaufende Hochwasser vorbei. Wir haben keine Chance mehr, rechtzeitig rauszukommen. Einen Tag später raus würde bedeuten, dass wir in einem Sturm mit 9 Windstärken geraten. Das will uns der Skipper dann doch nicht zumuten, auch wenn er unbedingt eine bestimmte Abbeize braucht, die es dort und nur dort in England zu kaufen gibt.
Wir sind uns schnell einig: Es muss nicht England um jeden Preis sein. Wir wollen lernen, mit dem Boot umzugehen, wollen auf die Nordsee, wollen den Tidenstrom erfahren und eine Nachtfahrt machen. Und neun Windstärken müssen nicht unbedingt sein, auch das meinen wir.
So fahren wir am ersten Tag auf dem Ijsselmeer herum, trainieren das Segel Setzen und Bergen, das Einreffen, das Ausreffen, das Wenden und das Halsen. Und bereits jetzt merkt jeder von uns, wo die Grenzen der eigenen Fähigkeiten liegen. Und ich lerne: Ich sollte aufhören, auf solchen Schiffen eine Halse wie auf einer Jolle zu fahren! Unglaublich welche Fehler ich gemacht habe. Nach einer Weile liegt der erste unter Deck und sorgt für Fischfutter! Am Ende des Tages fahre ich das Schiff, eine 38er Bavaria, in den Sonnenuntergang.
Nächster Tag. Frühes Aufstehen gehört zum Pflichtprogramm. Heute soll es raus gehen auf das Wattenmeer. Tide, Strömung, Versatz, enge Fahrwasser – es gibt viel zu beachten. Der Wind pfeift
ganz schön. Ein anderes Boot der Segelschule fährt nicht raus, zu stürmisch meint dort der Skipper. Aber Jörg ist anderer Meinung. Ziel ist dieses Mal eine Insel namens Texel. Für mich heißt das: Das erste Mal Schleuse fahren. Beim Anlegen stelle ich mich so richtig dumm an. So kommt es, dass ich von nun an alle Schleusen fahre.
Inzwischen h
ören wir von einem anderen Boot der Segelschule, die einen SSS-Kurs fährt, also einen deutlich höheren Schein zum Ziel hat, dass die Truppe bei Tonne Texel 1 umgekehrt ist – Texel 1 würde es immer entscheiden, lachen die Skipper. Es muss hart gewesen sein da draußen. Und mir wird klar, dass es vielleicht ganz gut war, nicht nach England gesegelt zu sein.
Raus auf dem Wattenmeer merkt man, wie groß der Unterschied ist zwischen Ijsselmeer und richtigem Meer. Wir haben Wind von achtern und üben das Halsen bis zum Gehtnichtmehr. Ankunft in Texel. Zur Belohnung kocht heute mal der Skipper – es gibt seine Spezialität: Labskaus, ein Seefahrergericht. Quer über dem Essen liegt ein extrem nach Fisch aussehender Fisch. Ha, und ich habe ihn gegessen, war gar nicht so schlimm. Matjes.
Am nächsten Morgen bläst immer noch ein stürmischer und kalter Nordwind. Aber Jörg will raus auf die Nordsee mit uns. Wir könnten auch zurück durchs Wattenmeer und Ijsselmeer. Aber er will unbedingt raus. Wir auch. Sieben bis acht Windstärken sind angesagt.
Anfangs geht es noch, doch mit der Zeit wird nach und nach den meisten schlecht. Das Labskaus kommt bei einigen zurück zu den Fischen. Die Seekrankheit macht sich breit an Bord und auch mein Magen signalisiert Unwohlsein. Wenn ich steuere, dann ist all das aber kein Problem. Die Wellen sind mittlerweile beachtlich – die anzusteuernde Hafeneinfahrt sehe ich nur, wenn das Boot oben auf einem Wellenberg ist. Jenseits dessen bin ich damit beschäftigt, fiesen Querschlägern auszuweichen.
Angekommen in IJmuiden geht es am nächsten Tag noch einmal raus auf die wellige Nordsee. Bei Seegang soll Manövertraining stattfinden. Das Arbeiten an den Winschen sorgt schnell für Übelkeit – auch bei mir. Irgendwann kehren wir um mit dem Wissen, wie weit unten unsere Grenzen lieg
en. Ich denke in Zukunft würde ich mit einer unerfahrenen Crew niemals mehr bei mehr als 5 Windstärken ausfahren.
Die anschließende Fahrt durch den Kanal nach Amsterdam und der Besuch der Stadt stimmt mich etwas melancholisch in Erinnerung an Vergangenes. Amsterdam ist immer eine Reise wert, die Grachten sind wunderschön. Aber das eigentliche Ziel ist für viele das Rotlichtviertel und die Kifferei – zwei Dinge mit denen ich reichlic
h wenig am Hut habe und die das Schöne der Stadt zerstören. Unsere Gruppe trennt sich und „meine Gruppe“ nimmt den Weg entgegen der Richtung zum Rotlichtviertel. Ich genieße mit den Jungs einen Café an einer der vielen Grachten. Schön!
Und wieder heisst es für mich: Schleuse - gleich zwei Mal hintereinander. Was dann folgt, ist die Nachtfahrt. Hier fahren wir gegenan und ich lerne zweierlei: Erstens, vor der Nacht muss ich keine Angst haben – im Gegenteil, es ist wunderschön durch einen Sternenhimmel zu segeln! Und zweitens bin ich irgendwann so müde, dass ich im Wiegen des Schiffes unter Deck einschlafe. Ein wunderbarer Schlaf. Ich kann also bei Fahrt unter Deck schlafen, eine wichtige Erfahrung, auch wenn der Seegang freilich gering war.
In der Nacht schließlich legen wir in Hoorn an, jenem Ort, nach dem auch Kap Hoorn benannt ist. Ein wunderschöner Ort. Mehr noch aber faszinieren mich all die Tiere: Im Hafen hüpfen überall Hasen herum, ebenso sind lauter Entenpaare unterwegs, die ihre frisch geschlüpften Küken beschützen. Und auch ein Fischreiher spaziert vor dem Fischladen herum und spekuliert auf Reste. Leider versaut mir ein Anruf von der Arbeit die Stimmung erheblich und ich freue mich bereits wieder auf See zu sein, um die Gedanken daran zu verdrängen. Draußen muss man einfach abschalten, weil man funktionieren muss.
Anschließend folgt noch einmal Manövertraining und die Überfahrt zum Prüfungsort nach Lelystad. Und wieder einmal heisst es: Micha ans Steuer, Schleuse! fahren! Die Prüfung gelingt schließlich – die Theorie hatte ich ja bereits einen Monat zuvor geschafft. Damit habe ich den nächsten Schein! Wie bereits bei der Theorie, so stellt sich aber auch nach bestandener Praxis kein Glücksgefühl ein. Seltsam. Anschließend segeln wir noch nach Enkhuizen, um unsere bestandene Prüfung bei Spare ribs unlimited zu feiern. Es wird spät an diesem Tag und nach nur 5 Stunden Schlaf brechen wir um 7 Uhr auf zum Heimathaven Stavoren auf.
Am Ende des Törns bin ich - wie alle anderen an Bord - total übermüdet und völlig fertig. Ein bisschen war das wie Armee. Jetzt bräuchte ich eine Woche Urlaub. Gelernt habe ich wahnsinnig viel auf diesem Törn. Nicht nur, wie man die Segel richtig setzt und wie man das Schiff besser einschätzt, wie man auf großen Schiffen Wenden und Halsen fährt und wie schwer das MOB-Manöver bei rauer See ist. Nein, viele Male wurde einfach auch herrlich gelacht. Skipper Jörg hatte viele Geschichten zu erzählen. Die Müsli-Schüssel wurde zur Weltkugel für die Wettererklärung, Feuerzeuge zu Schiffen bei der Erklärung von Hafenmanövern, Arme wurden zu Leinen um deren Wirkung zu erklären und das Bilgenbrett wurde zur Windsteueranlage. Bei all seinen Geschichten habe ich einfach nur zugehört und versucht, mir so viel wie möglich zu merken. Herrlich! Ich habe auch gelernt, wie man richtig die Leinen wirft, wie man sich nicht an der Winsch verletzt und mit welcher Technik man am besten an- und ablegt. Und auch, mit welcher Technik man sich diverser Körperflüssigkeiten bei Seegang sicher entledigt.
Aber ich habe auch meine Grenzen kennengelernt. Ob ich es um die Welt schaffen werde, weiß ich weniger denn je. Mir wird klar, wie gefährlich das Chartern im letzten Jahr war – mit einer viel zu minderwertigen Ausbildung. So ein SKS-Schein sollte die Basis für Charter-Segler sein. Inzwischen weiß ich aber auch, dass ich weiter an meinem großen Traum arbeiten kann, da bin ich mir sicher. Und auch was die Kostenseite angeht, meint Weltumsegler und Streuner Jörg, dass man mit geringeren Budgets ebenfalls ein gutes und sicheres Schiff bekommen kann. Skipper Jörg und seine Geschichten waren es also, die mich meinem Ziel ein Stück weit näher gebracht haben in einer Zeit, in der sich immer mehr Zweifel einschleichen.