Mittwoch, 15. September 2010

Profane Erkenntnisse

Vieles an Bord erfordert viel Erfahrung und Geschick. Wenn man – so wie ich – von einer handelsüblichen Billig-Jolle ohne jede Erfahrung kommt, stellen sich dabei viele Fragen, etwa die nach der Funktion eines Selbstwendefocks, einer Rollreffeinrichtung oder etwa nach der Handhabung von Lazy-Jacks und selbstholenden Winschen. Manches nützliche Wissen an Bord dient aber nicht dem Segeln allein, sondern eher den ganz normalen, ja profanen menschlichen Bedürfnissen. Richtig, die Rede ist von der in den Berichten großer Weltumsegler oft stiefmütterlich behandelten Erfahrung mit der Bordtoilette.
Nun kamen Fragen danach, wie denn nun an Bord mit den täglichen menschlichen Bedürfnissen zu verfahren sei, vergleichsweise häufig in meinem Bekanntenkreis vor. Darum will ich mich der Herausforderung stellen und auch meine Erfahrungen mit diesem Thema nicht vorenthalten. Denn – man mag es kaum glauben – die Benutzung dieses durchaus nützlichen Geräts birgt allerhand Risiken, wenn nicht sogar Lebensgefahr. Wohl auch deshalb ist die Handhabung wohl auch zentraler Prüfungsstoff für die Theorieprüfung beim SKS-Schein (Fragen 21 und 34)! Blöd nur, wer so wie ich mit einem SBF See anfängt.
Dass die Bordtoilette Gefahr für Leib und Leben der Besatzung bedeuten kann, habe ich bereits bei meinem ersten Charter (damals noch nur mit SBF See) festgestellt. Nach einer längeren Tour nämlich bemerkte ich, dass durch das Badezimmer Wasser ins Schiffsinnere drang. Die Kloschüssel war übergelaufen. Ursache war nicht – wie zunächst angenommen – das fehlende Spülen eines bereits vermeintlich angeschwärzten Besatzungsmitglieds. Nein, Ursache war die fehlerhafte Bedienung dieses komplexen Geräts. Die Folge war ein unbeabsichtigtes Eindringen von Wasser ins Bordinnere und damit potenzielle Sinkgefahr. Es ist also nicht so, wie man das von zuhause kennt, dass nach der Spülung alles erledigt ist – nein, der Toilettengang muss sorgfältig vor- und auch nachbereitet werden.

1. Vorbereitung: Bevor alles losgeht, müssen die Seeventile geöffnet werden. Irgendwo schließlich muss das Spülwasser ja herkommen – und irgendwo hin muss es dann auch wieder abfließen. Also gibt es genau zwei Ventile: Eins für die Frischwasserzufuhr und eins für die Abwasserabfuhr. Die muss man erstmal finden. Ich habe bereits drei Fälle erlebt:
a) Manchmal findet man die Teile unter dem Waschbecken im Schrank versteckt – in dem meisten Fällen sind sie nur zugänglich, wenn man auf den Knien gebückt mit dem Gesicht ans Waschbecken gepresst den Arm soweit möglich nach hinten im Wachsbecken-Unterschrank verschwinden lässt, wie es eben geht.
b) Als Variante ist auch das Versteck in der achterlichen Backskiste möglich. Glück hat man, wenn diese auch durchs Klo zugänglich ist.
c) Besonders schön aber auch die Variante auf der Bavaria 890: Hier muss man aus dem Klo raus und in den Salon, muss dann die Sitzpolster entfernen um an den Stauraum zu kommen, dort alles hochklappen, im schlimmsten Fall sämtliches Proviant ausräumen um dann mit ähnlicher Technik wie bei a) an die begehrten Hebel zu kommen. Wichtigster Punkt: Bevor man mit anderen Dingen loslegt, sollten diese Vorbereitungsmaßnahmen vollständig abgeschlossen sein. Im anderen Fall kann es passieren, dass man mit heruntergelassener Hose und einfach nicht abfließen wollenden Schüssel-Inhalt sich irgendwo zum Ventil recken muss, was unangenehm werden kann. Im schlimmsten Fall schwappt dabei vorher seegangsbedingt der Inhalt der Kloschüssel über, was den Ärger über die Situation sicherlich nicht mindert….

2. Der eigentliche Prozess. Während der Sitzung ist eine möglichst stabile Lage einzunehmen, die auch dem Seegang sicher standhält. Erst jetzt erschließt sich dem Nutzer die unglaubliche Enge dieser Yacht-Nasszellen, weil man sich dadurch nämlich optimal verkeilen kann, etwa indem man mit dem Gesäß einerseits die Kloschüssel und mit dem Kopf andererseits die Tür fixiert. Elementar an dieser Haltung ist, dass man sich auf GAR KEINEN FALL an der Türklinke festhalten darf. Im schlimmsten Fall kann sich dabei das folgende, von SKS-Lehrskipper Jörg erlebte Szenario abspielen: Bei starker Krängung auf die Toilettenseite hält man sich an der Klinke fest, um nicht nach hinten zu kippen. Beim wellenbedingten schnellen Wechsel der Schräglage auf die Seite gegenüber der Toilette droht dabei, beim Nach-vorn-kommen die Klinke unbeabsichtigt nach unten zu drücken und die Tür zu öffnen. In diesem Fall kann die Tür (bei älteren Schiffsmodellen) nach außen aufgehen. In der Folge fliegt man zur Belustigung der in der Plicht sitzenden Mannschaft mit heruntergelassener Hose aus dem Klo raus und einmal quer durchs Schiffsinnere auf die gegenüberliegende Seite. Wenn man Pech hat, ist dort ein mannshoher Ölzeugschrank, dessen Türen sich durch unsachgemäße Benutzung im Wellengang geöffnet haben. Im schlimmsten Fall landet man dadurch in diesem Schrank und durch die inzwischen gewechselte Krängungsseite fallen die Türen zu und man ist eingeschlossen. Deshalb: Nie an der Klinke festhalten! Zum Glück wurden die Schiffe neuerer Bauart wegen dieses Problems aber mit nach innen öffnenden Türen ausgestattet. Hier ist das Festhalten an der Klinke erlaubt, wenn auch nicht empfohlen. Zu groß ist die Gefahr, sich bei abreißender Türklinke und ohne Werkzeug in greifnähe im Klo eingeschlossen wiederzufinden.

3. Nun folgt das Spülen. Hierzu befindet sich sitzend meist links neben der Toilette eine Apparatur. Zentrales Element: Der Pumpenhebel, der durch vertikales Bewegen betrieben wird. Zuvor jedoch muss der davorliegende Hebel richtig bedient werden. Wenn dieser auf der Seite mit einem blauen (meist abgewetzten) Rohrsymbol liegt, kommt Spülwasser von außen ins Becken. Das ist gut für den Start. Jetzt kräftig Pumpen, bis alles weg ist. Als nächstes ist der Hebel vom blauen Rohrsymbol auf das weiße Rohrsymbol zu legen. Das bedeutet Abpumpen ohne Frischwasserzufuhr. Jetzt wieder ordentlich Pumpen. Wenn alles weg ist, noch genau sieben Mal nachpumpen! Erst jetzt ist der Spülvorgang beendet.


4. Nachbereitung: Um den oben beschriebenen Gefahrenfall des unbeabsichtigten Sinkens zu vermeiden, müssen nun noch alle Seeventile geschlossen werden. Dies geschieht unter Analogie des Punktes 1, wobei im Fall c) der Proviant wieder ordnungsgemäß und seegangssicher zu verstauen ist. Und auch das war mir anfangs nicht klar: Geschlossen sind die Ventile, wenn die Stellung des Ventilhahns mit der durch die anliegenden Rohre erkenntlichen Durchflussrichtung einen rechten Winkel zeigt.


Wer diese vier Punkte bei ordentlicher Welle erfolgreich und ohne einsetzende Übelkeit gemeistert hat, ist seefest und wird niemals seekrank werden. Wer Schwierigkeiten damit hat, dem seien zusätzlich zur Bordtoilette die Utensilien „Eimer“ (Bitte mind. 2 Eimer im Schiff haben mit unterschiedlicher Färbung jeweils für Verwendungszweck) sowie umgangssprachlich für Männer die „Ente“ und für Frauen das anatomisch angepasste „Urin-Schiffchen“ empfohlen. Diese Utensilien haben auch den Vorteil, dass die häufige Verstopfung der Rohrsysteme und die unangenehme Reinigung derselben damit vermieden werden kann, haben jedoch Nachteile vor allem bzgl. der Romantik einer Seefahrt.

Dienstag, 14. September 2010

Auszeit unter Segeln. Ein Sommer auf der Ostsee.

Eigentlich hatte ich gerade gar keine Lust, schon wieder eins der Segelbücher zu kaufen und zu lesen. Drei dieser Exemplare liegen noch bei mir herum, an einem hab ich mir die Zähne ausgebissen. Als ich aber dann irgendwann aus irgendeinem Grund an einem Buchlanden nicht vorbeigehen konnte und irgendwie in der Abteilung für Abenteuerberichte landete, konnte ich dann aber doch nicht widerstehen, dieses Buch über eine Ostseeumsegelung aus dem Regal zu ziehen. Der Name des Autors ist mir schon zwei Mal begegnet – in einem Bericht in der Yacht über die aktuell laufende Weltumseglung und im Online-Logbuch von Bernt Lüchtenborg.
Etwas skeptisch schlage ich die ersten Seiten auf und was ich dort erblicke, trifft mich wie ein Schlag. Da stehen ein paar traurige Worte eines wohlbekannten Liedtextes, den ich in diesen Tagen wieder häufiger im Ohr hatte. Die geliebten Wolfsheim sinnieren darin darüber, dass man heute leben muss und dass irgendwann ein Traum viel zu lange her ist (http://www.youtube.com/watch?v=icUC32-0WuY). Volltreffer! Beinahe schießen mir die Tränen in die Augen. Gekauft!
Ich lasse meinen anderen Segelwälzer links liegen und habe das Buch innerhalb von einer Woche durch. Das Buch ist gut geschrieben. Schöne kurze Kapitel, keine ewig lange Selbstbeweihräucherung, wie in dem anderen Wälzer. Die beiden Protagonisten machen nichts außergewöhnliches, eben eine Umsegelung der Ostsee, meist kurze Schläge. Einige Orte die sie bereisen, kenne ich nun schon aus eigener Segelerfahrung. Das Buch macht mächtig Lust, Teile der Reise nachzuahmen, vor allem in Richtung Osten nach Tallinn, Helsinki und St. Petersburg verbunden mit einer Rückreise durch die finnischen und schwedischen Schären, über Stockholm und Kopenhagen bei Ausgangshafen um Rügen würde mich sehr reizen. Ähnlich wie die beiden Protagonisten fange ich an zu überschlagen, wie viel Zeit man dafür wohl braucht. Ergebnis: 35 Tage Fahrtzeit plus Aufenthaltszeit – macht ca. 70 Tage, also 2-3 Monate. Ich fange an zu rechnen: Ein gechartertes, taugliches Boot würde 9.000 Euro kosten, zzgl. 10-20 Euro pro Tag an Lebenshaltung macht ca. 10-12 Tsd. Euro. Das sind 5-6 Tsd. Euro pro Nase, wenn man zu zweit ist. Machbar. Mit eigenem Kiel sowieso.
Das Buch überzeugt vor allem am Anfang bis etwa zum nördlichsten Punkt der Reise, dem auch von mir geliebten Nordkap (Besuch über Land!). Die Kontakte mit den Einheimischen und die Erfahrungen mit den weißen Nächten machen Lust darauf, auch ganz weit in den Norden zu fahren. Ab diesem Punkt jedoch hat man das Gefühl, der Autor hetzt etwas in der Sprache, um zum Ende zu kommen. Vielleicht hat der Verlag auch etwas Kürzung verlangt. Vielleicht ist das aber auch der Eindruck, der entsteht, weil es ab diesem Punkt wieder zurück ging. Das scheint komisch zu sein auf Langfahrt, ab der Hälfte ist es irgendwie Rückweg, auch wenn’s um die Welt oder irgendwo anders rum geht. Und Rückweg macht nie wirklich Spaß.
Und eine Erkenntnis bereitet mir auch in diesem Buch wieder Sorge. Motorschaden. In jedem Segelbuch, das ich bisher las, war irgendwann der Motor kaputt. Dieses verfluchte Teil macht immer und überall einen Strich durch die Rechnung. Für meine eigene geplante Langfahrt notiere ich: Leistungsstarker Ersatzaußenborder muss für den Notfall für Redundanz dieses offensichtlich empfindlichsten Geräts sorgen. Gibt es eigentlich Diesel-Außenborder?
Das Beste am Buch ist die dazugehörige Internetseite hippopotamus.de. Dort gelangt man – etwas versteckt zwar – noch auf das alte Ostsee-Projekt dieses inzwischen Weltumseglers und kann sich – quasi als Bonusprogramm – viele hunderte Bilder anschauen zu den Geschichten, die man gerade gelesen hat. Toll! Endlich mal wieder im Dream-Modus. Dafür gibt’s volle fünf Punkte.