Freitag, 10. April 2009

Erste Segelstunde

Ich kann es nicht fassen. Heut soll der Tag sein, an dem ich zum ersten Mal die Segel dichtholen, Halsen und auch Wenden fahren werde. Der Segellehrer meint, es wäre heut ganz schön windig, das würden harte Bedingungen für die erste Stunde werden.

Zunächst mal zum Boot. Der Kahn ist vielleicht sechs, sieben Meter lang und aus Holz. Eine Art Riesen-Jolle. Motor? Wozu? Es gibt Paddel. Dumm nur, dass man um aus dem Liegeplatz zu kommen gegen den Wind paddeln muss. Unser Segellehrer macht es vor. In der Box noch paddelt er wie ein Verrückter, um uns klar zu machen, mit welcher Stärke wir gleich MINDESTENS paddeln müssen.

Ich mach mich bereit. Es geht los. Wie ein Berserker hacke ich durch das Wasser und ganz langsam kommt das Boot in Fahrt. „Wir haben Glück“, ruft der Segellehrer von hinten, der Wind sei gerade etwas eingeschlafen. Deswegen kommen wir auch in Fahrt. Wir machen am Poller weiter draußen fest, um in Ruhe die Segel zu setzen. Der Wind dreht. Falscher Poller. Wir brauchen den auf der anderen Seite vom Steg, um nachher auch mit dem Wind weg zu kommen. Also nochmal paddeln...

Dieses Mal ist der Wind gegen uns. Mit aller Kraft drehen wir rum, aber verpassen den anderen Poller. „Stärker paddeln“, grölt es von hinten, aber ich bin schon längst am Ende meiner Kräfte. Gott sei Dank ist weiter hinten noch ein Poller. Den erwischen wir gerade so.

Ich habe nicht gefrühstückt. Außerdem bin ich krank. Entsprechend beschäftigt ist mein Körper mit der morgendlichen Anstrengung und nach viel zu wenig Schlaf. Ich klappe beinahe ab, aber Gott sei dank bekommt das keiner auf dem Boot mit. Völlig erschöpft vom paddeln sitze ich erstmal und ruhe mich aus. Und sind wir mal ehrlich: Das war noch kein Wind! Was soll das noch werden...

OK. Ab jetzt wird alles gut. Segel setzen. Ich muss die Stagreiter am Vorstag festmachen. Ich mach einige falsch herum ran. Nochmal alles ab machen, zweiter Versuch. Leine verheddert. Dritter Versuch. Diesmal stimmt‘s. Jetzt soll ich das Groß setzen. Irgendwas klemmt, es ist sauschwer und ich bin noch vom paddeln völlig hinüber. Klemmstelle gefunden. Ich ziehe an dem Seil wie ein Irrer. Das Groß geht endlich hoch und sitzt. Puh. Splitter eingefangen. Daumen tut weh. Völlig erschöpft. Noch nicht einen Meter gesegelt.

Keine Ahnung was jetzt passiert ist. Der Segellehrer jongliert mit irgendwelchen Seilen und zaubert und plötzlich sind wir auf dem Wasser und gleiten dahin. Ich soll das Fock übernehmen, soll da irgendwelche Leinen spannen, also dichtholen. Wir fahren erstmal quer über den See, um ein Gefühl zu bekommen. Wahnsinn, wie allein der Wind uns so schnell beschleunigt und durchs Wasser gleiten lässt. Wahnsinn das Geräusch des Wassers, wie es am Schiffskörper bricht. Wahnsinn die Krängung des Bootes.

Inzwischen hab ich begriffen, was ich mit dem Fock anstellen muss. Halsen und Wenden am Fock sind jetzt kein Problem mehr. Inzwischen hab ich Handschuhe gefunden, sodass die Leinen meine Hände nicht aufreißen.

„Micha, jetzt bist du dran“ heißt es auf einmal vom Segellehrer. Ich muss an die Pinne und das Groß bedienen. Was mein Ausbilder nicht einschätzen kann, ist die Qualität meiner Steuerkunst, die ich bereits als Steuermann beim Rudern vorgeführt habe. Damals hatte ich nur ein einziges Mal die Verantwortung, ein Boot (einen Vierer) mit Siegchance bei einem großen Turnier an die Startlinie und nach Plan auch über die Ziellinie zu steuern. Dummerweise kam bei dem Weg zum Start ein Einer entgegen. Der war im toten Winkel. Und dann gab es einen großen „Ratsch“ und nur noch zwei halbe Einer...und einen Vierer, der das Turnier nicht mehr fahren konnte. 16.000 Mark Schaden. Das war das Ende meiner Karriere als Steuermann. Ich hab freiwillig das Handtuch geworfen.

Mit dieser Geschichte im Hinterkopf erblicke ich es schon, das erste Schiff auf Kollisionskurs und ich am Steuer. Woher soll ich denn wissen, wer jetzt Vorfahrt hat. Lee vor Luv, Backbordbug vor Steuerbordbug...was weiß ich denn, was jetzt wo ist und wer hier Vorfahrt hat. Der Kahn ist gefühlt schon zum greifen nahe. Könnte mir jetzt mal langsam einer sagen, was hier zu tun ist? „Wir sind ausweichpflichtig“, ruft der Segellehrer, der natürlich sofort die Situation überblickt hat. Krass. Wie macht er das?

An der Pinne muss ich auch die Manöver steuern und die Kommandos geben. Die Kommandos hätte ich mir aber besser noch einmal anschauen sollen. Ich bin völlig überfordert von den ersten Eindrücken. Ich seh noch wie nebenan gerade ein Segler in einer Böe gekentert ist. Und dann soll ich auch schon wenden. „Alles klar zur Wende“...weiß ich noch. Aber wie ging‘s dann weiter? Erstmal die Pinne falsch gelegt, Kommandos vergessen, alles durcheinander. Jetzt auch noch halsen. Was weiß ich denn, wie ich die Pinne legen muss, Keine Ahnung, wann ich auf die andere Seite kann. Ich will einfach nur geradeaus fahren in die unendlichen Weiten des Wannsees und der Havel. Irgendwie bekomm ich es hin. Der Segellehrer drückt mir seine Anerkennung aus, ich würde mich ganz gut anstellen bei den Windverhältnissen. Keine Ahnung ob er mir nur Mut machen will. Ich fühle mich völlig überfordert und hab keine Ahnung, wie ich es je um die Welt schaffen soll.

Trotz aller Überforderung, das Dahingleiten durchs Wasser und der Spaß, bei starker Krängung alles aus dem Boot herauszuholen und die Erkenntnis, ganz ohne Motorengeräusch und nur vom Wind getrieben das Motorboot rechts von uns zu überholen ist ein Wahnsinnsgefühl. Ich will mal wieder mehr. Viel mehr. Nach dem Anlegen schaue ich sobald als möglich auf meinen Terminkalender, um die nächste Segelstunde zu identifizieren. Überglücklich fahre ich ins Osterwochenende zu meiner Familie. Nur eine Woche bis zum nächsten Törn!